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Foto: Wilfried Hösl

Diana Damrau übernimmt bei der anstehenen Premiere der Strauss-Oper „Capriccio“ die weibliche Hauptrolle. Angesichts des Kriegs in der Ukraine ist das Stück für die Sängerin besonders relevant.

BR-KLASSIK: Diana Damrau, Sie spielen in der Neuinszenierung der Strauss-Oper „Capriccio“ bei den Münchner Opernfestspielen die Gräfin Madeleine, also die weibliche Hauptrolle. Was ist das für eine Figur?

Diana Damrau: Die Rolle der Gräfin ist unglaublich schön zu spielen und zu singen. In dem Korsett steckt eine Frau mit viel Feuer, viel Verlangen. Gleichzeitig ist sie äußerst kultiviert. Sie lebt nicht in den Tag hinein, sondern macht sich wirklich Gedanken. Sie liebt alle Künste.

Die Rolle der Gräfin ist unglaublich schön zu spielen.

Diana Damrau

BR-KLASSIK: Bei den Proben einer von ihr geplanten Opernaufführung geht es dann ja sehr turbulent zu…

Diana Damrau: Und das eigentlich nur wegen der „Fachidioten“, die alle ihren Standpunkt verteidigen. Die Gräfin ist bei den Proben mit dabei und beobachtet alles sehr genau, weil sie ein Auge auf den Komponisten Flamand und ein Auge auf den Poeten Olivier geworfen hat. Die beiden sind ja grundverschieden. Olivier ist der starke Geist und der leidenschaftliche Mann. Flamand ist die Musik, die Schönheit, die fließende Melodie und das Träumen. Diese beiden Komponenten ziehen die Gräfin wahnsinnig an. Am Schluss schafft sie es, dieses ganze Chaos zu harmonisieren.

„CAPRICCIO“ LIVE AUF BR-KLASSIK

BR-KLASSIK überträgt die Premiere „Capriccio“ live im Radio: am Sonntag, den 17. Juli ab 19:00 Uhr.

BR-KLASSIK: Entwickelt sich die Gräfin während der Handlung weiter?

Diana Damrau: Sie macht sogar eine sehr große Entwicklung durch. Die Gräfin will eine richtige Partnerschaft. Sie fordert Flamand und Olivier heraus, um zu testen, wie weit die beiden gehen und ob das zu ihr passt. Am Ende hört sie in sich hinein und fragt sich: ‚Wenn ich mich in so eine Affäre reinstürze, was würde die Gesellschaft sagen?‘ Sie ist ja in diesen Zwängen drin und kann nicht einfach sagen: ‚Ich hau jetzt mit diesem Flamand ab auf die Malediven und es ist mir alles wurscht.‘ (lacht) Aber dann befragt sie auch ihr Bauchgefühl. Sie schafft es, wenn sie ein Problem hat, die Sache von einer anderen Ebene zu betrachten.

Die Musik verbunden mit dem Wort hat schon eine bombastische Wirkung.

Diana Damrau

BR-KLASSIK: Und Sie selbst, sind Sie eher ein Kopf- oder ein Bauchmensch?

Diana Damrau: Natürlich bin ich ein Bauchmensch! Und für mich siegt die Musik immer. Aber die Musik verbunden mit dem Wort hat schon eine bombastische Wirkung.

BR-KLASSIK: „Capriccio“ war Richard Strauss‘ letztes Bühnenwerk. Die Neuinszenierung für die Münchner Opernfestspiele stammt von Regisseur David Marton. Wie geht es Ihnen mit der Produktion?

Diana Damrau: Unsere Produktion finde ich wahnsinnig toll! Die Handlung spielt zur Zeit der Uraufführung 1942, also mitten im Krieg. David Martons Inszenierung ist vielschichtig wie ein Hochhaus mit verschiedenen Etagen. Immer wieder macht unser Regisseur eine Tür auf, da gibt es so viel zu entnehmen.

Musik hält die Moral der Menschen oben.

Diana Damrau

BR-KLASSIK: Wenn man bedenkt, was damals im Zweiten Weltkrieg passiert ist und wie man zeitgleich im Münchner Nationaltheater bei der Uraufführung von „Capriccio“ der Kunst gefrönt hat, dann wirkt das erst einmal skurril. Wie geht man im Jahr 2022 mit dem Stoff um, vor dem Hintergrund eines reellen Kriegs in der Ukraine?

Diana Damrau: Wir alle brauchen Kraft – jeder für seinen eigenen Alltag, für seine Probleme – um dann auch im Größeren etwas ausrichten zu können. Kultur ist keine Freizeitbeschäftigung! Die Musik hält die Moral der Menschen oben, weil sie Hoffnung gibt. Das ist wahnsinnig wichtig! Und gerade „Capriccio“ regt an, mal zu überlegen: Was bringt uns Kultur eigentlich? Warum gehen wir ins Theater? Weil wir da einen neuen Gschpusi sehen und danach was essen gehen? Oder weil vielleicht was mit uns passiert? Musik und Kultur sprechen direkt die Seele des Menschen an. Und dann werden Dinge klar, die man mit seinem Verstand gar nicht begreifen kann. Das ist eine Hilfe und eine Medizin.

Für den Frieden müssen die Menschen miteinander kommunizieren.

Diana Damrau

BR-KLASSIK: Ein flammender Appell für die Kunst, gerade jetzt in diesen Zeiten. „Capriccio“ wird ja gern als „L’art pour l’art“ abgetan. Dass man beim Zuschauen sozusagen ausblendet, was in der Realtität „draußen“ passiert. Das ist natürlich nicht so.

Diana Damrau: Richard Strauss hat geniale Momente geschaffen, wo dem, der genau guckt und hört, vielleicht ein bisschen die Augen aufgehen. Ich rede von der Figur des Monsieur Taupe. Es ist wunderbar, dass endlich mal der Souffleur eine Szene bekommt. In anderen Opern wird er nie beachtet. Unserer hier rettet uns täglich bei den Proben, ohne ihn geht’s nicht. Das wird man auch sehen in dieser Produktion. Und in „Capriccio“ findet natürlich auch Krieg statt. Die Oktette sind komponierter Krieg. Der Theaterdirektor sagt: ‚Das machen wir so und so‘ und alle hauen drauf, von allen Seiten. In dieses Tohuwabuho wieder Harmonie und Frieden reinzubringen, das muss auch in einem Krieg passieren: Die Menschen müssen miteinander kommunizieren. Nicht nur für sich, sondern für die ganze Welt. Es geht nicht nur um die Ukraine oder um Russland, es geht um die ganze Welt!