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Augsburger Allgemeine

Starsopranistin Diana Damrau gibt in München ihr Debüt als Gräfin in Strauss’ „Capriccio“. Im Interview spricht sie über Traumrollen und neue Herzensprojekte.

In Richard Strauss’ Oper „Capriccio“ lebt die zentrale Figur, die Gräfin, in einem Zwist. Ein Komponist und ein Dichter buhlen um sie, und so sieht sie sich mit der alten Frage konfrontiert: Prima la musica e poi le parole? Erst die Musik, dann die Dichtkunst – wie hält es die Interpretin der Gräfin, wie halten Sie es mit dieser Frage, Frau Damrau?

Diana Damrau: Ich halt’s mit dem Gesamtkunstwerk, mit dem Musiktheater! Wobei, ich muss doch sagen, für mich steht an erster Stelle die Musik. Sie gibt uns die rhythmische und harmonische Grundlage, auf der wir Wort und Ton miteinander verschmelzen. Wenn ich es aber noch genauer bedenke: Prima la voce, an erster Stelle die Stimme! Man muss nämlich stimmlich – sagen wir mal so – darüberstehen über der ganzen Sache. Strauss hat mit „Capriccio“ ein großartiges Stück über diese Frage geschaffen. Es ist ein „Konversationsstück“, es gibt Frage, Antwort, Einwurf, ein lebendiges Gespräch, das hier stattfindet. Das macht es aber auch kompliziert, man muss auf der Bühne unglaublich die Ohren spitzen, was gerade passiert. Schwierig auch deshalb, weil das Orchester nicht immer unterstützt, sondern ein Eigenleben führt. Die großen Strauss-Momente gibt es natürlich auch, wo man die weit ausschwingenden Phrasen zu singen hat, in denen man wie ein Schiff auf dem bewegten Meer dahingleitet. Wunderbar!

Wie stellt sich für Sie die Rolle der Gräfin in „Capriccio“ dar?

Damrau: Sie tritt vor allem als Schlichterin auf. Wenn ein Gespräch zwischen den Künstlern und Theaterleuten in eine Sackgasse gerät, nimmt sie die Kurve und führt die Menschen wieder weiter. Im Schloss der Gräfin treffen ungemein vielschichtige Menschen aufeinander, die ganz tief in ihrer Kunst drinstecken und diese auch mit Zähnen und Klauen verteidigen. Die Gräfin ist eine äußerst kultivierte Frau, mit großem Einfühlungsvermögen vor allem für die Kontrahenten Olivier, den Dichter, und den Komponisten Flamand. Sie versteht beide, findet beide auch als Männer anziehend. Nachdem jeder sein Herz ausgeschüttet hat, nach viel Streiterei – in den Oktetten der Oper singen und schreien alle durcheinander, wenngleich, wie immer bei Strauss, musikalisch sehr geordnet – nach all dem Chaos gelingt es ihr, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Ich denke, das ist etwas, was die heutige Welt dringend bräuchte. Nur schafft die Menschheit das leider nicht.

Sie sehen in „Capriccio“, einem Stück, das oft gescholten wird für seine Weltfremdheit – Strauss schrieb es mitten im Krieg –, also durchaus eine Art Utopie vor dem Hintergrund unserer heutigen Konflikte?

Damrau: Ja. Da ist natürlich der Krieg in der Ukraine. Aber wir müssen auch unsere Erde retten. Müssen außerdem weg von unserem Egoismus, von unserer Raffgier, von der Machtgier. Auch in „Capriccio“ besitzt die Gräfin eine Machtposition gegenüber den anderen, die nicht aufmucken können, weil sie von ihr bezahlt werden. Und die Gräfin nutzt das in gewisser Weise auch aus in ihrem Gefühlsspiel – aber sie sieht eben auch die Chance, eine Einigung herzustellen, in der jeder sich einbringen kann mit seinen ganz eigenen Fähigkeiten.

Also steckt mehr in „Capriccio“ als eine bloße Konversation über die Kunst, mehr als eine Fluchtbewegung des alten Strauss weg von immer finsterer werdenden Tagesereignissen?

Damrau: Strauss handelt letztlich regimekonform. Er war nun mal nicht entschieden gegen das Regime, und das ist sicher verurteilungswürdig. Aber wir haben eben auch dieses „Capriccio“ von ihm mit dieser wundervollen Musik, und man muss auch sehen, dass es darin um ewig aktuelle Themen geht – um Meinungsverschiedenheiten, um Macht, und schließlich, nach großer und wirklich schwerer Diskussion, in der sich alle aufgerieben haben, um Harmonie.

Mit der Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper geben Sie Ihr Rollendebüt als „Capriccio“-Gräfin.

Damrau: Ich hätte die Gräfin schon in Paris machen sollen, aber dann hat Covid dazwischengefunkt. Nach einer Woche mit Stellproben wurde das Opernhaus geschlossen. Umso mehr freue ich mich, dass es jetzt hier in München klappt. Gerade auch, weil es eine anspruchsvolle intellektuelle Aufgabe ist, wie immer bei Strauss. Dieses Stück funktioniert wie ein Uhrwerk, in dem man nur eines von vielen, aber eben auch ein wichtiges Rädchen ist. Zum Beispiel all diese Anspielungen im Text wie in der Musik, in denen Strauss sich auf seine eigenen Werke bezieht. Da kommt Ironie ins Spiel, und die will natürlich fein herausgehoben werden. Genauso wie die Anekdoten über Opern auf der Theaterbühne, ein Milieu, in dem Strauss sich auskannte: Wenn das gekonnt serviert wird, möchte man losbrüllen vor Lachen.

Würden Sie sich heutzutage auf dem Theater etwas weniger Regie und dafür mehr Aufmerksamkeit für den Gesang wünschen?

Damrau: Es gab eine Zeit der Dirigenten, jetzt haben wir die Zeit der Regisseure. Aber man weiß früher oder später, mit wem man sich einlässt. Bei manchen Regisseuren fehlt mir der Sinn für das Handwerk, für die „Gesetze des Theaters“, wie der Theaterdirektor in „Capriccio“ es formuliert, oder einen Sinn für was man dem Körperinstrument Stimme zumuten darf. Oft ist es wirklich schwierig Inhalte zu transformieren oder gesangsfeindliche Bewegungen einzuüben. Nach manch schwieriger Diskussion kommt man dann auf einen Nenner und gibt natürlich sein Bestes. Denn man muss hinter dem stehen was man auf der Bühne interpretiert, sonst wird es nicht glaubwürdig.

In diesen Zeiten kommt ein weiteres Unbehagen dazu: Corona ist noch nicht aus der Welt, beeinflusst weiterhin die Arbeit an den Theatern.

Damrau: Natürlich. Wir hatten auch hier während der Probenphasen Ausfälle mit der Folge, dass man dann einfach nicht proben konnte. Das ist anstrengend.

Ans Nationaltheater in München kommen Sie immer wieder zurück, man darf unterstellen, dass Sie das gerne tun. Was hält die Stadt, außer ihrer großen Opernbühne, für Sie noch parat?

Damrau: München ist so etwas wie Heimat für mich. Hier war ich 1999 Einspringerin als Zerbinetta in der Strauss-„Ariadne“, mit ihr ging das damals los. Ich fühle mich sehr verbunden mit dem Haus, gerade auch mit den Menschen hinter der Bühne, die selbst nach vielen Jahren noch dieselben sind, wenn die Leitung schon wieder gewechselt hat. Bei denen ist so viel Herz da, Münchner Herz. Die haben halt dieselben Wurzeln wie ich, denn ich bin ja auch eine Bayerin – eine schwäbische Bayerin.

Und wenn Sie in München mal nicht auf der Bühne stehen oder die Bühne im Kopf haben, was machen Sie dann in der Stadt?

Damrau: Was ich hier schätze, gerade auch in Vorbereitung für das neue Stück: dass man der Natur nahe ist und auch seine Ruhe haben kann. Mein Bruder lebt hier, mein Cousin ebenfalls, die versuche ich natürlich auch zu treffen. Und wenn einem Shopping wichtig ist, ist auch alles vorhanden – schöne Dinge kann man hier sehr viele sehen.

München ist auch Geburtsstadt von Richard Strauss. Manch eine seiner Opernpartien haben Sie im Repertoire, jetzt kommt die Gräfin dazu. Gibt es noch weitere Strauss-Rollen, die Sie reizen?

Damrau: Ja klar – Daphne, Arabella, Marschallin im „Rosenkavalier“. Bei Strauss ist es wie bei Mozart, in einer Oper kann man als Sopranistin teilweise bis zu drei oder vier verschiedene Rollen verkörpern im Laufe eines Sängerlebens.

Und welche Aufnahme darf man sich von Ihnen als nächste erwarten?

Damrau: In der Zeit, als während Corona nichts ging, habe ich mir geschworen, künftig Herzensprojekte zu machen. Also, das erste ist ein Weihnachtsalbum, mit Titeln der Barockzeit wie auch mit traditionellen Weihnachtsstücken. Ich habe Weihnachten nun fast schon auf der ganzen Welt erlebt und dabei festgestellt: Ich liebe mein bayerisches Weihnachten, unsere Tradition, dieses Fest zu feiern. Das möchte ich zu Gehör bringen. Das nächste Projekt ist ein Album mit Operette. Während der Covid-Hochphase habe ich gefühlt: Unser Herz braucht Schönheit, Harmonie, positive Energie. Über die Operette wird immer die Nase gerümpft, dabei stecken in diesem Genre so viele Farben drin und es bewegt die Herzen von Menschen, von denen man das gar nicht erwartet hätte. Und mir macht Operette auch unheimlich Spaß. Ich will jetzt was Positives machen: „Liebe, du Himmel auf Erden“ heißt es in einer Operette. Genau das ist jetzt meine Mission.