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Frau Damrau, eine Partie, für die Sie weltweit gefeiert wurden, ist Mozarts Königin der Nacht. Als Donizettis Maria Stuarda debütieren Sie nun wieder in einer königlichen Rolle. Mögen Sie es, mächtige Frauen auf der Bühne zu verkörpern?

In der Zwischenzeit habe ich mit Marguerite de Valois in Meyerbeers Les Huguenots sogar noch eine weitere Königin gesungen. Bisher zwar nur konzertant. Das szenische Debüt ist aber in Paris geplant. Ich mag es schon sehr, vornehme und kraftvolle Frauenrollen zu spielen! Mozarts Königin der Nacht sehe ich da allerdings eher als ein Zwitterwesen: sie hat ja auch magische und dämonische Kräfte. Bei Maria Stuart fasziniert mich dagegen der Ge-danke, dass diese Figur historisch ist, dass es sie wirklich gegeben hat. Und trotzdem liegt eigentlich nichts auf der Hand. Es ranken sich so viele Mythen und Legenden um diese Frau, dass man als Interpretin zunächst viele Fragen hat. Wenn man diese Oper von Donizetti aufführt, die ja auch nur einen Teil der historischen Wahrheit abbildet, muss man als erstes sehen, was uns da eigentlich vom Komponisten überliefert wurde. Seine Musik ist für mich die wichtigste Grundlage für die Interpretation, die wir in den Proben gerade zu finden ver-suchen.

Aber auch für Donizetti war die Figur aus dem 16. Jahrhundert bereits ein Mythos. Im Gegensatz zu ihrer kühl abwägenden Kontrahentin Elisabeth I. wird Maria Stuart gerne als leidenschaftliche, impulsive,  unüberlegte Frau gesehen, die ihre weiblichen Reize als Waffe einsetzte. Können Sie diesem gängigen Bild etwas abgewinnen?

Ich möchte sie keinesfalls auf diese Deutung reduzieren! Maria Stuart ist für mich eine Figur mit vielen Facetten, was natürlich mit ihrem extremen Schicksal zu tun hat. Es ist auffällig, dass die Partie musikalisch neben intensiven, kraftvollen Ausbrüchen immer auch sehr verinnerlichte, ruhige Momente umfasst. Diese Unterschiede möchte ich gerne zeigen. Maria Stuart wurde als junges Mädchen nach Frankreich gebracht und mit Franz II. verheiratet, der für kurze Zeit König von Frankreich war. Die vornehmen Sitten am französischen Hof haben sie sehr geprägt. Ich glaube, von dort rührt ihre Leidenschaftlichkeit her, ihre Liebe zum Schönen, aber auch die edle, vornehme Haltung, die sie als Frau begehrenswert machte. Ich empfinde es als einen speziellen Moment, wenn sie sich in Donizettis Oper, also während der Jahre ihrer Gefangenschaft in England, nach Frankreich zurücksehnt. Es fühlt sich für mich immer so an, als wäre es nicht nur eine Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, sondern gleichzeitig bereits eine Todessehnsucht.

In Schottland, wohin Maria Stuart nach dem frühen Tod ihres ersten Mannes, des Königs von Frankreich, zurückkehrte, wehte ein anderer Wind …

Schottland war im Vergleich zu den französischen Gepflogenheiten natürlich harsches Gebiet. Und es erstaunt eigentlich nicht, dass eine schöne junge Frau mit erlesenen Sitten in dieser rohen Umgebung von machthungrigen Männern mit politischen und religiösen  Interessen einen schweren Stand hatte. Wenn eine Monarchin in dieser Zeit von Männern umworben wurde, dann ging es ja nicht nur um körperliche, sondern immer auch um politische Interessen. Ein Unschuldslamm war Maria Stuart aber sicher nicht! Sie war wohl an der Ermordung ihres zweiten Mannes beteiligt und hat auch während der Gefangenschaft noch versucht, ihre Macht spielen zu lassen. Die treibenden Kräfte waren dabei aber stets ihr tiefer katholischer Glaube und der – berechtigte! – Anspruch auf die englische Krone. Es ist ein komplexer Charakter. Wie viel man von diesen psychologischen Details in die Interpretation einbringen kann, ist aber eine andere Frage. Im Zentrum der Oper steht ja die explosive Begegnung zwischen Maria Stuart und der englischen Königin Elisabeth, die es in Wahrheit nie gegeben hat. Man muss da sowieso abstrahieren …

Könnte man sogar sagen, dass die historischen Fakten für diese Oper eher zweitrangig sind? Diente der Stoff Donizetti vielleicht eher als Vorwand, ein wirkungsvolles Stück für zwei sich zankende Diven auf die Bühne zu bringen?

Natürlich ist das Stück auf Wirkung ausgelegt! Diese Szene der Konfrontation ist der Wahnsinn: Da stehen zwei Tigerinnen, zwei Schlachtschiffe … Und dann kommt es zur Eskalation! So eine Begegnung zwischen zwei Sopranistinnen gibt es ja in der Operngeschichte sonst kaum. Serena Farnocchia, die Sängerin der Elisabeth, und ich haben zusammen bereits Donna Anna und Donna Elvira in Don Giovanni gesungen, und jetzt stehen wir uns als rasende Königinnen gegenüber … Das ist eine Situation, die unglaublich Spass macht, und man stachelt sich gegenseitig an. Ich habe gehört, dass Edita Gruberova und Agnes Baltsa in einer Vorstellung sogar die Rollen getauscht haben … Diese Szene ist eine Plattform für ganz grosses Theater!

Sie sind eine Sängerin, die sich auf der Bühne sichtlich wohl fühlt. Haben Sie beim Einstudieren einer Partie bereits Ideen für die szenische Umsetzung im Kopf? Oder entwickeln Sie die erst in der Arbeit mit dem Regisseur?

Das ist eine spannende Frage, gerade weil ich so eine historische Königinnenfigur noch nie gespielt habe. Es gibt ja im Theater den schönen Spruch: «Den König spielen immer die Anderen», und da ist schon etwas dran. Natürlich schaue ich als Vorbereitung Filme oder Theaterstücke. Aber im Detail weiss keiner von uns, wie sich Königinnen im 16. Jahrhundert aufgeführt haben. Natürlich kann man steif durch die Gegend laufen, stolz gucken und eine elegante Handbewegung machen … Aber wenn man einfach nur hinblickt und alle liegen flach wie Pizza auf dem Boden, dann hat das eine andere Wirkung! Wenn man eine Königin spielt, ist man schon sehr darauf angewiesen, was um einen herum geschieht. Auf die erste Zusammenarbeit mit David Alden habe ich mich gefereut. Es gefällt mir, dass er sich von den historischen Tatsachen inspirieren lässt und sich trotzdem ein eigenes Elisabethanisches Zeitalter schafft. Eine historische Kostüm- und Requisitenschlacht brauche ich nicht. Ein Schlüsselerlebnis war für mich in dieser Hinsicht die Traviata– Inszenierung von Willy Decker in Salzburg. Nachdem ich mir diese Partie früher immer nur ganz klassisch vorstellen konnte, habe ich dort gemerkt, dass in einer schlüssig modernisierten Inszenierung vieles noch deutlicher herauskommen kann.

Neben der Violetta haben Sie im Lauf Ihrer Karriere auch sehr unterschiedliche Partien von Donizetti gesungen: In Zürich zuletzt Adina in L’elisir d’amore und natürlich überall immer wieder Lucia di Lammermoor. Ist Maria Stuarda im Vergleich dazu eine Partie, die ein bisschen mehr ins dramatische Fach führt?

Auf jeden Fall! Wie alt ist Maria Stuarda geworden? Vierundvierzig? Das istendlich einmal eine Rolle in meinem Alter! Nach den ganzen jungen Mädchen und flotten Fegern finde ich es jetzt schon toll, eine Frau in einer Machtposition zu spielen. Ich hasse es allerdings, wenn mich jemand fragt: Wie ist es denn, Opferrollen zu spielen? Frauen wie Maria Stuart sind keine Opfer. Sie sind nicht schwach. Sie sind Opfer ihrer Zeit! Und Lucia di Lammermoor wird auch noch Opfer einer Krankheit und dazu zwangsverheiratet. Aber sie kämpft bis aufs Blut um ihre Liebe und um ihre Freiheit. Das sind zwar alles historische Stoffe, aber auch Dinge, die in unserer Zeit noch passieren. Wenn ich darüber nachdenke, finde ich schon, dass viele Opernkomponisten der Emanzipation ein bisschen geholfen haben. Was beispielsweise Marie in Donizettis Fille du régiment für eine Plattform kriegt, und wie sie sich durchsetzen kann … Das finde ich grossartig!

Mit Marie sprechen Sie eine weitere Donizetti-Partie an, die, anders als Maria Stuarda, ins komische Fach gehört. Persönlich machen Sie stets einen fröhlichen und humorvollen Eindruck. Fällt es Ihnen auch auf der Bühne leichter, komische Charaktere zu verkörpern?

Ich liebe und brauche beides. Ohne Komödie kann ich nicht leben. Letztes Jahr habe ich als Contessa im Figaro debütiert. Und auch Rosina im Barbiere oder Adèle im Comte Ory sind Rollen, die ich sehr geliebt habe. Gerade Ensemblestücke, in denen es rasant zu und her geht, machen mir unglaublich viel Freude! Und jetzt kommt halt eine Zeit, in der es etwas ernster wird …

Das ist aber keine generelle Richtung?

Überhaupt nicht. Aufhören werde ich sowieso irgendwann mit der Hexe aus Hänsel und Gretel. Die ist zwar nicht lustig, aber ich glaube, ich würde unglaublich viel Spass mit dieser  Partie haben. Ich liebe es einfach, mich in jede neue Rolle hineinzuversetzen und herauszuholen, was geht. Deshalb nennt man mich wohl immer wieder ein «Bühnentier» …

Die Partie der Maria Stuarda singen Sie hier zum ersten Mal. Wie bereiten Sie sich auf ein Rollendebüt vor?

Das Besondere am Belcanto ist, dass alles von der Stimme ausgeht. Natürlich muss man rechtzeitig Noten und Text lernen. Aber die endgültige Wahrheit oder die richtige Interpretation steht da nicht drin. Wir arbeiten hier in Zürich mit der neuen kritischen Ausgabe  der Partitur. Und alle diese verschiedenen Fassungen sind entstanden, weil das Werk an verschiedenen Orten und mit unterschiedlichen Sängern aufgeführt wurde. Maria Stuarda kann auch von einem Mezzosopran gesungen werden, wie bei der Mailänder Uraufführung von Maria Malibran. Im Belcanto stellt jeder Sänger die Vorzüge der eigenen Stimme heraus, es geht um Können, aber auch um persönlichen Geschmack. Dazu kommt, dass die Ausgestaltung der Gesangslinien stark mit dem verknüpft ist, was man szenisch zum Ausdruck bringen möchte. Koloraturen dürfen im Belcanto nicht zum Selbstzweck werden. Gerade durch die Wahl der Gestaltung legt man fest, wie aggressiv, wütend oder verinnerlicht man eine bestimmte Passage rüberbringen möchte. Der wichtigste Teil der Erarbeitung einer Partie geschieht also auf den Proben, in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten und dem Regisseur.

Ihr Mann, Nicolas Testé, singt in dieser Produktion den Giorgio Talbot, der Maria Stuarda vor ihrer Hinrichtung heimlich die Beichte abnimmt; Ihre beiden 5- und 7-jährigen Söhne sind auch in Zürich. Ist es nicht eine riesige Herausforderung, eine so grosse Karriere und ein glückliches Familienleben unter einen Hut zu bringen?

Es ist in unserem Beruf schon schwierig, sich gut zu organisieren, gerade weil wir sehr viel unterwegs sind. Aber glücklicherweise ist mein Mann diese Situation durch seine eigene Karriere auch gewöhnt. Ohne Kompromisse geht es natürlich nicht. Es ist jetzt gerade die Zeit, in der die Kinder viel Aufmerksamkeit brauchen, aber auch die Zeit zum Singen! Grosses Glück haben wir mit der Schule der Kinder: Das zentralistischorganisierte Lycée français, das sie besuchen, hält sich strikt an den Lehrplan. Deshalb ist es möglich, die Kinder an verschiedenen Orten zur Schule gehen zu lassen und ihnen trotzdem eine kontinuierliche Bildung zu ermöglichen. Gerade freuen sie sich, in Zürich Schulkollegen von früher wiederzufinden. Und Zürich soll ja in Zukunft unsere Basis werden.

Warum Zürich?

Es ist einfach strategisch wunderbar gelegen. Meine Eltern sind von Bayern aus schnell hier und wir haben hier ein wunderbares Opernhaus mit Repertoirebetrieb …

… und wir die Hoffnung, dass Sie dann öfter bei uns auftreten!

Wir arbeiten dran!

Welche Partien haben Sie im Kopf, wenn Sie etwas längerfristig in die Zukunft denken? Werden weitere Rollen von Verdi oder sogar solche von Wagner für Sie ein Thema?

Das könnte vielleicht einmal ein Thema werden. Aber vorher würde ich die Strauss-Partien etwas ausweiten und im französisch-lyrischen Fach etwas weitergehen. Elettra in Idomeneo würde ich gerne einmal singen. Aber grundsätzlich werde ich meinen Kernmöglichkeiten im lyrischen und Koloraturfach treu bleiben. Wenn man mit einer Partie wie Maria Stuarda – im wahrsten Sinne des Wortes – etwas Blut geleckt hat, dann will man natürlich schon gerne wissen, wie sich eine Anna Bolena anfühlt! Oder Elisabetta in Roberto Devereux … Das sind Partien, die ich sehr liebe und die ich mir für die Zukunft wünsche. Aber gerade jetzt, wo die Kinder klein sind und die Familie einen wichtigen Stellenwert für mich hat, will ich keine zu grossen und kraftraubenden Schritte in ungewisses Neuland wagen.

Das Gespräch führte Fabio Dietsche
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 57, März 2018
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