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Das Interview: Diana Damrau über Hugo Wolfs „Italienisches Liederbuch“ und über den Opernbetrieb

Die Sopranistin Diana Damrau gehört seit Jahren zur internationalen Spitze. Georg Rudiger hat die Sängerin, die mit dem französischen Bariton Nicolas Testé verheiratet ist und zwei Söhne hat, in Zürich getroffen. Ein Gespräch über Beziehungskisten, den Reiz des Kunstliedes und die Arbeit mit Regisseuren.

Sie haben mit Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“ gemeinsam mit Jonas Kaufmann und dem Liedbegleiter Helmut Deutsch im letzten Jahr eine große Tournee gemacht. Zwölf Auftritte in den größten Konzertsälen Europas. Liedgesang ist ja eine sehr intime Kunst. Steht dieses Projekt nicht im Widerspruch dazu?

Diana Damrau: Teilweise war es nicht einfach, weil manche Säle wie die Philharmonie in Berlin oder die Elbphilharmonie in Hamburg rundum bestuhlt sind. Das ist schon eine Herausforderung mit so einer zerbrechlichen Kunst, bei der beispielsweise auch mimische Feinheiten eine Rolle spielen. Und wenn die Zuhörer uns nur von hinten sehen oder eben auch hören, ist das natürlich nicht optimal. Im Großen und Ganzen lief es aber gut – das Interesse war sehr groß. Und vielleicht haben wir ein paar Zuhörer für die Kunstform Lied gewinnen können. Zwar sind in diesen Liedern von Hugo Wolf keine eingängigen Melodien enthalten, aber die Texte und die Stimmungen vermittelten sich durchaus auch einem breiten Publikum. Die Sehnsüchte, Freuden und Probleme des Paares, das auf der Bühne steht, sind doch jedem vertraut.

Ungewöhnlich war auch die szenische Darbietung.

Damrau: Wir haben es ein bisschen dargestellt – aber natürlich ohne Kostüm und Requisiten. Und ohne allzu übertriebenen, opernhaften Ausdruck. Das „Italienische Liederbuch“ ist kein Zyklus. Die Reihenfolge der Lieder ist nicht festgelegt. Nur das erste mit dem Titel „Auch kleine Dinge können uns entzücken“ steht wie ein Motto voran. Für mich ist das Werk wie ein Schmuckkästchen mit kleinen, verschiedenen Edelsteinen.

Hat die szenische Interpretation auch die musikalische beeinflusst?

Damrau: Auf jeden Fall. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Wenn mir Jonas etwas serviert hat – der Mann hat in diesen Liedern meist die schwärmerische, aber auch spöttisch verletzende Art – dann kann ich nicht wie eine Oratoriensängerin reagieren. Das kommt wirklich aus dem Moment heraus.

Wann ist die Aufnahme des „Italienischen Liederbuchs“ entstanden?

Damrau: Das ist eine Live-Aufnahme unseres Konzertes in der Philharmonie Essen. Wir hatten nur einen Versuch. Und es war Erkältungszeit – das Publikum hat gehustet wie verrückt. Vorher haben wir ausgewählte Stellen extra aufgenommen. Einige Hustenattacken wurden herausgeschnitten, aber wir wollten den Livecharakter behalten, wenn das Publikum auf die Lieder reagiert. Manche sind ja sehr witzig.

Was fasziniert Sie daran?

Damrau: Es ist so menschlich. Hugo Wolf schaut diesen beiden jungen Menschen ins Herz. Es ist hochvirtuos, dabei aber sehr einfach und unglaublich konzentriert im Ausdruck – wie ein Kondensat. Jedes Lied besteht nur aus einer Strophe: Kein Wort wird wiederholt. Mit ganz einfachen Mitteln schafft es Hugo Wolf, Ironie zu zeigen und dann das Rätsel aufzulösen, wenn er für die Pointe von Moll nach Dur wechselt wie in „Der Mond hat eine schwere Klag’ erhoben“.

Das „Italienische Liederbuch“ ist eigentlich eine einzige große Beziehungskiste. Nehmen Sie persönlich nach so einem Abend etwas mit nach Hause in den Alltag?

Damrau: Sicher erkennt man sich in bestimmten Situationen wieder. Musik und Text bewegen immer irgendetwas in einem selbst.

Beim „Italienischen Liederbuch“ haben Sie sich selbst inszeniert. Macht es Ihnen grundsätzlich Spaß, sich in der Oper auf einen Regisseur einzulassen?

Damrau: Es ist immer bereichernd, ein Stück oder auch nur eine Situation von einer anderen Perspektive zu beleuchten. Natürlich hat man auch eigene Vorstellungen. Aber wenn ich mich auf die Bühne begebe, muss ich trotzdem zu hundert Prozent dahinterstehen.

Verweigern Sie in Proben, bestimmte Dinge zu tun, die der Regisseur verlangt?

Damrau: Ich suche immer das Gespräch. Abgereist bin ich noch nie. Aber ich muss schon wissen, warum ich etwas tun soll, welcher Gedanke dahintersteht. Erst dann kann ich eine Rolle überzeugend spielen.

Was wünschen Sie sich vom Opernbetrieb?

Damrau: Manchmal gibt es zu viele Proben. Oft könnte man das Gleiche mit viel weniger Aufwand erreichen. Wenn man Sängerdarsteller auf der Bühne hat, die gemeinsam etwas erarbeiten wollen, dann geht das unglaublich schnell. Manchmal kommen Regisseure, die keine Peilung vom Stück haben. Personenführung ist ihnen nicht wichtig – sie lassen uns improvisieren. Wenn sie vom Theater kommen, möchten sie während der Proben etwas kreieren, aber merken dann, dass sie eigentlich vorher ein Konzept hätten entwickeln müssen. Leider bleibt häufig die Musik im Hintergrund – auch von Seiten der Dirigenten. Es fehlt manchmal das Verständnis für die Stimme. Einige Dirigenten beharren auf ihren eigenen Vorstellungen. Wenn man sich aber zusammensetzt und gemeinsam etwas schaffen möchte, dann kommt etwas Tolles dabei heraus – und kein Krieg.