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Hamburger Abendblatt

 

Corona zwinge dazu, mehr im Jetzt zu leben, findet die Star-Sopranistin. Ein Gespräch über Heavy Metal zum Abregen und Wahnsinnsrollen.

Sie ist zu Hause, in Zürich – nicht in der Pariser Oper, um in Strauss‘ „Capriccio“ auf der Bühne zu stehen. Für die Sopranistin Diana Damrau, ansonsten ständig weltweit unterwegs, kein Zustand, erst recht kein schöner. Doch sie ist und bleibt optimistisch – und wenn mal nichts hilft, hilft womöglich eine Abregungs-Runde zu Heavy Metal durch den Garten.

Was fällt Ihnen ein zu dem Satz „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“ …?

Diana Damrau: Dann kommt ein ganzer Tsunami an Erinnerungen, das war meine erste Rolle in Würzburg am Stadttheater, die Eliza in „My Fair Lady“. Musical, eine Herausforderung, aber auch ein Wahnsinnsspaß.

Es gibt nicht wenige, die das für die kleine schmutzige Schwester der Oper halten.

Diana Damrau: Weit gefehlt. Gerade an der Eliza habe ich so viel gelernt. Ich hätte nie die Königin der Nacht so machen können, hätte ich nicht gelernt zu schreien wie Eliza Doolittle.

In einigen Tagen hätten Sie in Paris die Gräfin in Strauss‘ „Capriccio“ gesungen. Eine dieser Partien, auf die man warten und hoffen muss, dass sich alles mit der Karriereplanung fügt. Nun also doch nicht. Was macht das mit Ihnen?

Diana Damrau: uns dazu, mehr im Jetzt zu leben. Wir hatten nur eine Woche Probe in Paris. Es war … Es war einfach wunderschön. Eine ganz tolle Besetzung. Und dann so ein Stück machen zu dürfen, wo es um die Essenz der Kunst geht. Man geht so tief hinein!

Tragisch, wenn so etwas platzt.

Diana Damrau: Wir haben gerade alles durchgestellt gehabt, waren hochinspiriert und wie ein ICE mit 280 Sachen, endlich Fahrt aufgenommen. Jetzt hätten wir richtig uns reinbeißen können, in den Stoff, ineinander und in das Schauspiel … Und dann fährt man gegen die Wand. Es war wirklich wie eine Beerdigung.

Der gängige Wunderpianist hat mit vier Jahren schon die ersten Beethoven-Sonaten gespielt – sie waren erst mit 15 zum ersten Mal leibhaftig in einer Opernvorstellung. Welche war das und war von da an klar: Das ist meins?

Diana Damrau: Jetzt muss ich lachen … Die erste Oper war eine „Zauberflöte“ in Augsburg, das war sooo grausam.

Und weil die erste Aufführung so scheußlich war, haben Sie sich danach gesagt: Das kann ich besser?

Diana Damrau: Das nicht. Aber ich wusste ja, wie es sein kann. Und ich wollte alles lernen, von der Pike auf, und machen und hoffen. Und den Gesang mit dem Schauspiel so verbinden, dass es glaubwürdig ist. Dass man nicht sieht: Jetzt ist Diana die Königin der Nacht. Nein: DAS ist die Königin.

Noch etwas von Ihnen: „Oper führt uns den Spiegel vor. Musik heilt und geht an die Seele, sie bewegt uns und hilft uns, uns selbst zu helfen.“ Dann sind Sie mit Ihrer Karriere mittlerweile kurz vor Dalai Lama?

Diana Damrau: (lacht) Ich hab schon immer gesagt, Musik ist meine Religion. Musik macht was mit mir und macht eigentlich mit jedem etwas. In „Capriccio“ sagt der Komponist bei seiner Liebeserklärung: Wie wunderschön diese Frau, diese Seele, und dann: Musik strömte aus mir! Und Strauss lässt einen Regenbogen aus Klängen und Gefühlen plötzlich explodieren. Das macht Musik.

Wie ist es auf der Opernbühne, wie ist der Blick in dieses schwarze Loch?

Diana Damrau: Ja, schwarzes Loch, da verschwindet alles drin. Man weiß nicht, wohin es geht und wie es jeden trifft. Ich muss mich dem Werk und der Rolle unterordnen. Aber – das schwarze Loch zieht nicht nur an, es sendet auch aus. Das spürt man.

Ihr neues Album dreht sich um die „Tudor Queens“, die Königinnen aus Donizetti-Opern: Maria Stuart, Anna Boleyn, Elisabeth I. Wie bereiten Sie sich darauf vor? Mit Biografien oder der Windsor-Serie „The Crown“ auf Netflix?

Diana Damrau: Natürlich gibt es Literatur. Man kann tief forschen, es gibt wunderbare Verfilmungen. Und natürlich muss ich mich darauf konzentrieren, was der Komponist zeigen wollte. Gerade bei Maria Stuart ist es krudes Theater, die Begegnung der beiden Königinnen, die es nicht gab, hat er zum Höhepunkt der Oper gemacht. Das ist wunderbar.

Lieblingstitel von Diana Damrau

  • Poulenc “Gloria” Kathleen Battle (Sopran), Seiji Ozawa, Boston Symphony Orchestra, Tanglewood Festival Chorus
  • Bellini „Norma” mit Montserrat Caballé, 1974, aus Orange
  • Strauss „Capriccio“, Renée Fleming, Andrew Davis, The Metropolitan Opera Orchestra (DVD)
  • Prokofiew „Romeo und Julia“ mit Marcia Haydée und Richard Craigun
  • Gounod “Roméo et Juliette”
  • Grief “Peer Gynt” komplett
  • Mozart “Le Nozze di Figaro“
  • Mozart „Don Giovanni“
  • Kate Royal „Kate Royal“ mit der Academy of St. Martin in the Fields, Edward Gardner
  • Olga Peretyatko “Russian Light”

Sie scheinen auf Bühnen besonders gern durchdrehen zu mögen.

Diana Damrau: Mich interessiert: Was passiert mit den Frauen? In welcher Situation stecken sie, wie gehen sie damit um? Das ist schon viele Jahrhunderte her? Nein, es ist immer noch gleich. „The Crown“ ist toll, das habe ich auch verschlungen, gerade in der Zeit, in der ich die Damen aufgenommen habe.

Stimmt es, dass Sie sich für die Rolle der Lucia di Lammermoor in einer psychiatrischen Klinik erkundigt haben, wie es ist, wenn man verrückt wird?

Diana Damrau: Nur erkundigt …! (lacht) Die Wahnsinns-Szene ist speziell, weil er wirklich diese Pathologie darstellt. Ich wollte wissen: Was ist mit ihr? Der Arzt hat mir von Bipolarität erzählt, die habe ich gefunden.

Ganz praktisch gefragt: Konnten Sie in den vergangenen Monaten Musik hören? Mir fiel das oft schwer.

Diana Damrau: Es gibt zwei Seiten bei mir, eine davon ist die ausübende Künstlerin. Ich als „Konsumentin“ hab mir nicht viele Streams­ angesehen. Für mich selbst habe ich etwas Frieden gefunden, als es im Frühjahr losging, indem ich wieder meinen Mozart herausgeholt hab, Händel, Haydn und Bach.

Die Grundnahrungsmittel.

Diana Damrau: Und wenn ich down war, bin ich raus in den Garten, hab mir Heavy Metal auf die Ohren gegeben und bin fünfmal im Kreis gerannt, um das alles für mich verarbeiten zu können. Dafür ist Musik da. Musik ist Medizin, man muss sie richtig anwenden können. Und vor allem: Schönheit heilt. Viel Heavy Metal hab ich nicht gebraucht. Ich bin immer wieder zu Mozart und zu Richard Strauss.

Ich habe Sie in Hamburg noch nicht auf der Opernbühne gesehen. Warum nicht? Ist Ihnen das Orchester nicht gut genug, sind die Regisseure doof, ist die Gage zu niedrig?

Diana Damrau: Nein, Hamburg ist wunderbar! Ich hab die Sophie im „Rosenkavalier“ gesungen und eine Königin der Nacht. Das war leider alles.

Sie wollen höflich sein.

Diana Damrau: Der Kalender ergibt sich. Ich bin aus dem bayerischen Süden, es hat sich schnell eine Bindung zu München, zu Wien, vor allem zu London entwickelt.

Jetzt könnten Sie sich noch einen Widerspruch ausdenken, wenn ich Ihnen sage: Hamburg ist nicht Ihre Liga.

Diana Damrau: Nein. Nein. Wir sind alle Musiker, und wenn wir zusammenkommen, machen wir das Beste draus. Ich würde gern mal wieder in Hamburg singen.

Wie geht für Sie der Satz weiter: „In zehn Jahren bin ich …“?

Diana Damrau: Ups … Wie alt bin ich dann?

34, glaube ich.

Diana Damrau: In zehn Jahren bin ich hoffentlich noch nicht Oma, hoffentlich auch noch nicht die Hexe in „Hänsel und Gretel“, das wird meine letzte Rolle auf der Bühne sein. Vielleicht wird das Singen leiser, aber die Sprechstimme bleibt laut. Da kommt die Eliza wieder durch (lacht).